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Südsauerlandmuseum Attendorn Skulpturen des Mittelalters 1200 -1550 [266b]
Kreuz (Südsauerlandmuseum Attendorn CC BY-NC-SA)
Herkunft/Rechte: Südsauerlandmuseum Attendorn (CC BY-NC-SA)
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Reliquienkreuz

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Beschreibung

Mit dem Aufkommen der Mystik in der Gotik und den in dieser Zeit entwickelten theologischen Gedanken werden Leiden und Tod bei der Darstellung des Gekreuzigte thematisiert. Der sog. Dreinageltypus prägt seither die Figur des ans Kreuz geschlagenen und die Lilienkrone, Zeichen des Christus als Triumphator, wird von der Dornenkrone abgelöst.

Zwei Kruzifixtypen sind für das 14. Jahrhundert von besonderer Bedeutung. Zum einen das in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, im Zuge der Mystik entwickelte Pestkreuz oder Cruzifixus doloroso. Dieses zeigt in drastischer Form den Gekreuzigten mit brutalen Spuren seiner Passion am Gabelkreuz und ist vornehmlich in skulpturalen Arbeiten umgesetzt worden. Das Kruzifix aus St. Johannes in Attendorn gehört zum zweiten Typus, der eine gemäßigte Variante zeigt und im 14. Jahrhundert in allen Kunstgattungen weit verbreitet war. Das aufwändige, in feiner Schnitzkunst und mit kostbaren Materialien gearbeitete Altarkreuz stellt den toten Christus dar. Der wohl proportionierte Körper hängt mit weit auseinander gestreckten, bis über den Kopf erhobenen Armen am Kreuz. Die Knie sind leicht angezogenen und die übereinandergelegten Füße waren mit einem Nagel an den Kreuzesstamm geschlagen. Der Kopf mit ausgezehrtem Gesicht neigt sich zur Seite. Der Mund ist geöffnet und die Augen scheinen geschlossen. Das Haupthaar teilt sich zu einem Mittelscheitel und der kurze, strukturierte Bart läuft in zwei winzige Buckellöckchen aus. Die nur noch fragmentarisch erhaltene, aus Zweigen geflochtene Dornenkrone, war nicht sehr ausladend. Wenige aufgemalte Blutstropfen und -bahnen markieren die Seitenwunde sowie die durch die Nagelung und Dornenkrönung verursachten Wunden. Der Erlöser ist mit einem Lendentuch, dem sog. Perizonium bekleidet, das stoffreich bis über die Knie fällt. Das Tuch ist dabei ohne sichtbare Gürtung oder Knotung um den Leib geschlungen. Die Gewandfalten bilden durch kräftig ausgearbeitete Faltenbögen zahlreiche kleine Schüsseln, und über der linken Hüfte fällt der Gewandsaum in tütenförmige Zipfel.
Neben dem Gewandfaltenduktus sind Haartracht und Körperhaltung des Gekreuzigten typisch für Arbeiten besonders der 1. Hälfte des 14. Jahrhundert, gehören aber auch über die Jahrhundertmitte hinaus zum gültigen Formenrepertoire. Interessante Vergleichsbeispiele finden sich im Schnütgen-Museum Köln mit zwei um 1320-1340 im Rheinland entstandenen Kruzifixen und dem rheinischen Kruzifix der Zeit um 1350/60. Als weiteres interessantes Beispiel sei das Kruzifix aus dem Hochaltar der Liebfrauenkirche in Oberwesel (Landesmuseum Mainz) genannt, das deutliche Einflüsse kölnischer Arbeiten zeigt und aufgrund stilkritischer Beobachtungen und erhaltener Dokumente in die 40er Jahre des 14. Jahrhunderts datiert wird. In der Art der Gewandfaltendarstellung, wie der Haar- und Bartgestaltung unterstützen Figuren der um 1350 für Marienstatt und St. Aposteln in Köln entstandenen Altäre die Datierung des Attendorner Altarkreuzes in die Mitte des 14. Jahrhunderts.
Maria Anczykowski, die das Attendorner Altarkreuz 1994 in einem ausführlichen Beitrag vorgestellt hat, sieht in dem Holzkreuz aus Sundern (Erzbischöfliches Diözesanmuseum Paderborn), das in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts entstand, eine Arbeit, die dem Attendorner Kruzifix zeitlich und räumlich sehr nahe steht. Die typologischen und motivischen Gemeinsamkeiten lassen aber nicht auf den selben Werkstattzusammenhang schließen.

Das Attendorner Kruzifixes zeichnet sich durch großen Reichtum in Form und Gestaltung aus, in dem eine tiefgehende theologische Interpretation des Passions- und Heilsgeschehens verbildlicht wurde. Kreuzesstamm und –balken sind goldgefasst und umlaufend mit plastischen Weinlaubblättern geschmückt. Durch Punzierung in den Goldgrund gearbeitetes Weinlaub schmückte einst auch die Kreuzendigungen. Das Weinlaub, als Teil des Weinstocks, welchen das Kreuz symbolisiert, steht seit alttestamentarischer Zeit für kommendes Glück, bedeutet aber auch Reichtum der göttlichen Verheißung, und der aus den Trauben gekelterte Wein steht für das Blut Christi. Gleichzeitig weisen die Blätter auf den Lebensbaum und den Sinn des Kreuztodes als Werk der Erlösung.
Das Kreuz selber ist mit unterschiedlichen Schmucksteinen in regelmäßigem Abstand verziert. Seit frühmittelalterlicher Zeit war meist eine vielschichtige Symbolik mit Edelsteinen und Halbedelsteinen verbunden, die ihre ausgeprägteste Form sicher in den Kirchenschätzen des 9. bis 11. Jahrhunderts gefunden hat, wie der Stephans-Bursa, um 820 (Wien, Kunsthistorisches Museum), dem Einband des Codex Aureus aus St. Emmeram, um 870 (München, Bayrische Staatsbibliothek) oder dem Erpho-Kreuz, um 1090 (Münster, Pfarrkirche St. Maurizius) . Das letztgenannte Reliquienkreuz ist dabei ein schönes Beispiel, welches in Funktion wie Gestaltung eng vergleichbar mit dem spätmittelalterlichen Kruzifix aus Attendorn ist.

Eine Besonderheit des Attendorner Kruzifixes sind die in Modeltechnik gearbeiteten Engel im quadratische Zentrum des Vierblatts an den Kreuzbalkenenden. Die auf bizarr gestalteten Wolken schwebenden Himmelswesen präsentieren je zwei Lilienkronen. Die völlig weiß gehaltenen Engel setzen sich vor dem roten Hintergrund deutlich ab. Auch hier sind die Farben zu deuten: Weiß als Farbe der Reinheit, Rot als Farbe der Liebe und das Gold der Vierblätter symbolisiert das göttliche Licht. Der obere Abschluss des Kreuzstammes steigert den Inhalt nochmals durch ein Miniaturkruzifix und die Symbole der Evangelisten Markus (Löwe), Matthäus (Engel), Johannes (Adler) und Lukas (Stier), welche durch ihre Schriften das Passionsgeschehen überliefert haben. Bei dem hölzernen Miniaturkreuz handelt es sich sicher um ein älteres Stück, das vielleicht einst als Brustkreuz (Pectorale) getragen und später reliquieähnlich verehrt wurde. Eine genau Datierung ist aufgrund des fragmentarischen Erhaltungszustandes sehr schwer, die Arm und Handgestaltung spricht jedoch für eine Entstehung in romanischer Zeit, vielleicht um 1200. Die Evangelistenmedaillons wurden in Stanztechnik hergestellt, indem man dünnwandiges Metall über eine Matrize presste, um so das Muster der Vorlage mechanisch zu übertragen. Die so vorgefertigten Medaillons sind dann, recht sorglos, auf die Balkenenden des oberen Kreuzendes geleimt worden - eine Technik, die im Mittelalter vielfach im kunsthandwerklichen Bereich zu beobachten ist.
Maria Anczykowski hat vermutet, dass einst auf die Mitte des großen Kreuzes ein Nimbus montiert war. Der heute dort recht isoliert wirkende türkise Stein und die unvermittelt abbrechenden aus Zinn gearbeiteten Ornamentstreifen sprechen für diese Überlegung. Zahlreiche Vergleichsbeispiele belegen zudem die gängige Praxis den Gekreuzigten mit dem Kreuznimbus auszuzeichnen. An der Rückseite des Kreuzes ist an gleicher Stelle ein in flachem Relief gearbeitetes Medaillon angebracht. Dargestellt ist das Agnus Dei, das Lamm mit Kreuznimbus und -stab, an dem eine wehende Fahne befestigt ist. Es fand in der bildenden Kunst bereits in frühchristlicher Zeit als Sinnbild für Leiden, Opfertod und Auferstehung Christi Darstellung. Neben den einst auch hier wohl in regelmäßigem Abstand montierten Schmucksteinen und den einfachen, punzierten Blüten und kleinen geometrischen Ornamenten am Kreuzbalken, ist das Lamm Gottes die zentrale Schmuckform der Rückseite.

Mit dem komplexen theologischen Inhalt des Altarkreuzes geht, aufgrund der Reliquienpartikel, die im Korpus Christi bewahrt sind, sein spiritueller Gehalt konform. Ihren Beschriftungen zufolge, handelt es sich um Fragmente der Tunika Christi, der Maria Magdalena, des hl. Nikolaus, der Apostel Andreas und Bartholomäus, Johannes der Täufers und der hl. Katharina. Die Vorstellung der Gegenwart der heiligen Personen und ihrer Wirkkraft erhöht die Wertschätzung des Altarkreuzes und vertieft die Vergegenwärtigung des Heilsgeschehens.
Das Attendorner Altarkreuz ist in Gestalt und Funktion ambivalent, da es als hölzernes Kruzifix stilistisch mit Kreuzen der Altarantependien des 14. Jahrhunderts vergleichbar ist, wie dem Kreuz aus dem Goldaltar in Oberwesel oder den Kölner Vortragekreuzen. In seiner Dreifachfunktion als Altarkreuz, Vortragekreuz und Reliquienbehältnis, und der vielschichtigen Symbolik steht das Attendorner Kreuz jedoch ebenso in der Tradition der kostbaren Goldschmiedearbeiten ottonischer und salischer Zeit.

Material/Technik

Eichenholz, Zedernholz? (Miniaturkreuz im oberen Kreuzende), Metall, Zinnguss, Textilgrundierung, Stuck, Modelmasse, Glasflüsse, Steine

Maße

H 74,3 cm; B 8,5 cm; T 1,8 cm

Literatur

  • Arens, Andrea (Bearb.) (2008): Skulpturen des Mittelalters 1200 bis 1550 : die Sammlungsbestände des Südsauerlandmuseums Attendorn / Hrsg. Südsauerlandmuseum, Museum für Kunst- und Kulturgeschichte des Kreises Olpe in Attendorn. Berlin, S. 26-32
Südsauerlandmuseum Attendorn

Objekt aus: Südsauerlandmuseum Attendorn

Der volle Name des Museums lautet "Südsauerlandmuseum Attendorn - Museum für Kunst- und Kulturgeschichte des Kreises Olpe in Attendorn" Das...

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