Das Telgter Hungertuch stellt eines der bedeutendsten religiösen Kulturgüter Westfalens dar. Es war in Telgte von 1623 bis 1907 in der Pfarrkirche St. Clemens und St. Silvester im Gebrauch. Dort verbarg es zur Fastenzeit, von Aschermittwoch bis kurz vor Ostern, den Altarraum. Wahrscheinlich wurde das Tuch als Ersatz für ein älteres Tuch geschaffen, das den Wirren des Dreißigjährigen Krieges zum Opfer fiel. Das Hungertuch wurde vom Burgmann He(i)nrich Vos(s) und seiner Frau Cat(h)arina Droste gestiftet und von den vornehmen Damen der Familie gestickt. Der Telgter Pfarrer Bitterus Willge, dessen Initialen in der untersten Bildreihe verewigt sind, gab vermutlich die Initiative. Die einzelnen Bilder sind als sogenannte Filetstopfarbeit auf einen geknüpften, netzartigen Untergrund gestickt. 33 einzeln gefertigte Bildfelder wechseln sich in sechs Reihen übereinander mit ebenfalls 33 unverzierten Quadraten aus Leinen schachbrettartig ab. Sie zeigen in den ersten vier Bildreihen das Leiden Christi bis zur Auferstehung. Weitere Motive sind die Symbole der vier Evangelisten, das Lamm Gottes und Szenen aus dem Alten Testament. Das Tuch wurde 1910 nach Berlin verkauft, gelangte 1937 als Dauerleihgabe zurück nach Telgte, konnte 1971 wiedererworben werden und ist seitdem im Museum Relígio in Telgte ausgestellt.
Besonders bedeutende Hungertücher des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit sind vor allem aus dem Alpenraum und benachbarten Landschaften, aus der Oberlausitz und in größerer Zahl aus Westfalen erhalten. Dazu gehören auch die Tücher in Everswinkel, Alverskirchen, Vreden und Freckenhorst, die heute noch benutzt werden oder in den Kirchen ausgestellt sind.
[Emil Schoppmann]