Die an den Unter- und Seitenkanten aufgetrennte Taschentuchhülle wurde fast 200 Jahre in einem Glasrahmen im Eingangsraum des Hauses Harkorten gezeigt. Im 18. Jahrhundert waren Stofftaschentücher ausgesprochene Prestigeobjekte und Accessoires in „besseren Kreisen“. Im Zeitalter der Aufklärung kamen Hygienevorstellungen auf. Zudem wurde das „Schnäuzen“ am Tisch oder in Gesellschaft ohne ein Taschentuch als gewöhnlich und peinlich angesehen. Das Taschentuch entwickelte sich um 1800 mehr und mehr zum Gebrauchsgegenstand. Aus hygienischen Gründen wurde es nicht einfach in der Hosen- oder Jackentasche, sondern in einer eigens vorgesehenen Hülle bzw. einem Beutel verwahrt. Die industrielle Fertigung von Taschentüchern aus Zellstoff für den einmaligen Gebrauch ließ die Stofftaschentücher im Verlauf des 20. Jahrhunderts weitgehend verschwinden.
Die Herkunft der beutelartigen Stoffhülle aus dem Haus Harkorten ergibt sich aus den gestickten Inschriften und Motiven. Auf einer Seite ist „Die Preussen und Russen / in Paris / ei das ist so gut als gewiss“ zu lesen. Die ursprüngliche Rückseite trägt den Spruch: „Dann bekommen wir hiernieden / gewiss einen herrlichen herr. / lichen Frieden“. Als Stickbilder sind ein wohl preußischer Soldat mit Gewehr und Tschako sowie ein mit Lanze und Reitersäbel bewaffneter, anscheinend russischer Kosake zu sehen. Die Rückseite ist mit einem Oliven- oder Lorbeerzweig als Symbol für Frieden bzw. Sieg bestickt.
Das textile Behältnis wurde offensichtlich noch während der Befreiungskriege 1813/14 hergestellt. Nach der für Napoleon vernichtenden Schlacht auf dem Montmartre am 30. März 1814 rückten preußische und russische Truppen in Paris ein. Die gestickte Widmung auf der Vorderseite bezieht sich mit „ei das ist so gut als gewiss“ zweifellos auf das noch bevorstehende Ereignis. Nach der Familienüberlieferung wurde die Taschentuchhülle von einer Schwester des 21-jährigen Friedrich gefertigt. Er war seit November 1813 als Freiwilliger in der preußischen Landwehr eingesetzt. Als Herstellerin kommt danach eigentlich nur Henriette Harkort (*1782, †1868) in Frage. Nach dem Tod ihres Ehemannes Wilhelm Carstanjen in Düsseldorf lebte sie seit 1806 wieder auf dem Familiensitz Harkorten. Dort heiratete sie im Mai 1815 in zweiter Ehe den damaligen Hagener Bürgermeister Christian Dahlenkamp.
Der Überlieferung nach habe der Leutnant Friedrich Harkort das bestickte Utensil im Sommer 1815 während des Feldzuges gegen Napoleon sowie in der Schlacht bei Waterloo, in der Friedrich verwundet wurde, bei sich getragen. Zum Gedenken an den Patriotismus in der Familie während der Befreiungskriege kam der aufgeschnittene Stoffbeutel in einen Glasrahmen. Fast 200 Jahre war das Erinnerungsstück in der Eingangsdiele des Hauses Harkorten zu sehen. Aus konservatorischen Gründen wurde die Taschentuchhülle 2001 dem Stadtmuseum überlassen.
Ralf Blank