Veronika, eine in den Evangelien nicht genau bestimmbare Frauengestalt aus dem Umfeld Jesu, präsentiert dem Gläubigen das - wie ihr eigener Name verrät - "vera eikon", das als wahr geltende Abbild des Heilands. Das 1216 gestiftete Offizium und die Ablasserteilung für die Verehrung des Reliquienbildes in St. Peter in Rom bewirkten eine große Verehrung in zahlreichen Devotionsbildern. Nach der Legenda aurea erhielt Veronika das Idealportrait schon zu Wirkzeiten Jesu. Die geläufigere, durch die Bibel des Roger von Argenteuil verbreitetere Version legt den theologischen Schwerpunkt auf die Passion und zeigt auf dem Schweißtuch (Sudarium) das blutige, dornengekrönte Haupt, frontal, mit gescheiteltem, langem Haar und geteiltem Kinnbart nach dem vermeintlichen Augenzeugenbericht eines Lentulus, des angeblichen Vorgängers des Pilatus. Wie auch andere Szenen, Schmerzensmann, Pietà, verselbständigt sich die zur sechsten Station des Kreuzwegs kanonisierte Begebenheit zu einem mystisch verehrten, heilskräftigen Bild, das in der Kirche isoliert aufgestellt der persönlichen Andacht außerhalb der Liturgie dient. Veronika, die Patronin der Leinenweber und -händler, der Wäscherinnen und Weißnäherinnen, leistet Fürsprache für einen guten Tod und Heilung bei Verletzungen. In statuarisch ruhiger Vornehmheit drückt die farblich gefasste Skulptur stille Trauer ohne jegliche Dramatik aus. Der stilistisch mit Tilman Riemenschneider in Verbindung gebrachte, bedeutsame spätgotische Maler und Schnitzer Hans von Witten (syn. Hans von Köln) war bis nach 1522 in Goslar, Chemnitz, Halle und Leipzig tätig...I. K.